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Für die Reha stimmen100 Jahre nach der Entdeckung von Insulin können Diabetiker:innen ein annähernd normales Leben führen. Heute gibt es weitentwickelte Therapien. Für deren Erfolg sind die Betroffenen aber letztendlich auch selbst verantwortlich, sagt der Diabetes-Experte Dr. Thomas Helling anlässlich des Welt-Diabetes-Tags am 14. November.
Große Fortschritte bei Therapie
Diabetes Typ 2: breite Palette an Medikamenten
Ohne eigenes Zutun geht es nicht
Die Medizinwelt feiert ein wichtiges Jubiläum: 1921, also vor 100 Jahren, isolierten die Forscher Frederick Banting und Charles Best zum ersten Mal das Hormon Insulin aus der Bauchspeicheldrüse von Hunden. In der Folge gelang es, Insulin aus Schlachtabfällen von Rindern und Schweinen zu einem Medikament aufzubereiten. Erstmals konnten Ärzt:innen Diabetes Typ 1, bei dem der körpereigene Botenstoff komplett fehlt, behandeln.
„Banting und Best schufen die Grundlage dafür, dass Menschen mit Diabetes heute selbstbestimmt und in guter Lebensqualität mit ihrer Krankheit umgehen können“, unterstreicht der Diabetologe Dr. Thomas Helling, Oberarzt in der MEDICLIN Staufenburg Klinik in Durbach. Insulin, das in Zellen der Bauchspeicheldrüse gebildet wird, steuert die Zuckerkonzentration im Blut und die Aufnahme von Zucker in die einzelnen Körperzellen. Diese brauchen den Energieträger für jeden Lebensvorgang. Ohne Insulin kann der Mensch nicht überleben. Fehlt es, steigt der Blutzucker an. Sehstörungen, Abgeschlagenheit, Müdigkeit, Durst und starke Urinproduktion sind die Folgen. Gleichzeitig fehlt den Zellen der Zucker, sie müssen Fett für den Energiehaushalt verbrennen, was unbehandelt lebensbedrohlich wird.
„In den vergangenen 100 Jahren sind wir bei der Behandlung sehr weit gekommen“, sagt Dr. Helling. Heute lässt sich die Therapie in vielen Fällen so gut steuern, dass Diabetiker:innen im Alltag gut zurechtkommen. Ein Meilenstein war die Einführung der Blutzuckerselbstmessung, zunächst noch relativ aufwendig, dann mit immer kleineren Geräten und inzwischen per unter der Haut eingesetztem Sensor. Gerade in den letzten 20 Jahren gab es große Fortschritte bei der Sensortechnik und bei Methoden zur Insulingabe. „Heute spritzt ein gut eingestellter Patient mit Diabetes Typ 1 mindestens viermal am Tag Insulin, vor jeder Mahlzeit ein schnell wirksames und mindestens einmal ein langwirksames. So versuchen wir, die natürlichen Ausschüttungsmechanismen nachzuahmen“, erklärt Dr. Helling. Bei einem gesunden Menschen gibt es eine ständige, sogenannte basale Insulinwirkung im Hintergrund, die den Blutzucker stabil hält. Zum anderen schüttet der Körper bei kohlehydrathaltigen Mahlzeiten schnell viel Insulin aus. Dieses reguliert den folgenden raschen Zuckeranstieg und veranlasst den Zuckertransport in die Körperzellen. Ist die Mahlzeit verdaut, hört diese starke Insulinproduktion wieder auf. Moderne Insulinpumpen geben die basale Rate automatisch ab und ermöglichen es, das Insulin zur Mahlzeit per Knopfdruck abzurufen.
Für die Behandlung von Diabetes Typ 2, bei dem der Körper zwar noch selbst Insulin erzeugt, die Wirksamkeit aber vermindert ist, wurden zudem immer bessere Medikamente entwickelt. „Wenn noch eine ausreichende Restproduktion von Insulin vorhanden ist, ist eine sehr differenzierte Therapie mit Tabletten möglich““, erklärt Dr. Helling. Es gibt Medikamente, die sehr komplex wirken und beispielsweise nicht nur den Blutzucker senken, sondern zusätzlich das Risiko für Folgeerkrankungen wie einen Herzinfarkt.
Steigerte die erste Generation von Tabletten einfach ungezielt die Ausschüttung von Insulin, funktionieren neuere Medikamente nach einem anderen Ansatz. Der häufig eingesetzte Wirkstoff Metformin verändert nicht die Insulinausschüttung, sondern verbessert dessen Wirkung und schützt gleichzeitig das Herz. Weitere Medikamente verstärken die Wirkung des Hormons GLP-1 oder führen dies künstlich zu. GLP-1 wirkt auf die Insulinabgabe und verbessert die Insulinwirksamkeit an Muskeln, in der Leber und im Gewebe. Zudem verstärkt GLP-1 das Sättigungsgefühl. Das Medikament hilft den Betroffenen abzunehmen. „Das ist wichtig, weil 90 Prozent der Typ 2-Diabetiker*innen übergewichtig sind und es gilt: je schwerer, desto höher die Insulinresistenz. Andere Wirkstoffe scheiden Zucker aus dem Blut über den Urin aus. Kalorien werden ausgeschwemmt, was den Blutzuckerspiegel senkt und wiederum hilft, Gewicht zu verlieren. Diese Mittel schützen auch das Herz und die Nieren vor Folgeerkrankungen.
Die modernste Therapie ist jedoch ohne Zutun der Patientinnen und Patienten wirkungslos. Diese müssen dauerhaft auf eine bewusste Ernährung und Bewegung achten, empfohlene Therapien selbstverantwortlich umsetzen und regelmäßige ärztliche Kontrollen wahrnehmen, betont Dr. Helling, der auf das Risiko von Folgeerkrankungen hinweist: etwa Schäden an Nieren, Augen, Nerven und Gefäßen. Es drohen Herzinfarkt, Nierenversagen, Erblindung und das diabetische Fuß-Syndrom, im schlimmsten Fall mit Amputation.
„Diabetes mellitus ist eine sehr hinterhältige Stoffwechselstörung. Am Anfang merkt man nicht viel davon. Zunächst auch dann nicht, wenn der Diabetes schlecht behandelt ist. Dann bin ich symptomfrei, aber die Blutzuckerwerte sind so schlecht, dass ich in fünf oder zehn Jahren schlimme Folgeerkrankungen habe, die eigentlich vermeidbar sind.“
Eine gute Schulung ist deshalb unverzichtbar, damit Patient:innen die Krankheit und die Risiken verstehen. „Als Arzt muss ich dem Patienten vermitteln, was er selbst tun kann und muss, um ein gutes Leben mit Diabetes zu führen und dass dies in seinem ureigenen Interesse ist“, betont Dr. Helling. Dabei geht es nicht um Verbote, sondern darum, dass Betroffene verinnerlichen, wie sie ihre Mahlzeiten zusammenstellen können, damit der Blutzucker danach nicht ansteigt. Und welche Lebensmittel für sie schlecht sind, etwa süße Limonaden, deren riesige Zuckermengen keine Insulin-Therapie bewältigen kann. „Gut geschulte Diabetiker können heute ihr Insulin nach ihrem Appetit anpassen und müssen nicht ihren Appetit vorgegebenen Insulin-Mengen anpassen.“
Um dies zu lernen, ist ein Aufenthalt in einer spezialisierten Rehabilitationsklinik sinnvoll. Diabetiker*innen können sich dort über mehrere Wochen in einem geschützten Rahmen voll auf ihre Erkrankung konzentrieren. In einer Klinik ist es möglich, unter stationären Bedingungen die Insulin-Therapie anzupassen und mit professioneller Betreuung zu testen, wie etwa der Blutzucker auf Ernährung und Bewegung reagiert. „Wenn ich Nordic Walking ausprobieren will und unsicher bin, wie ich dabei meinen Blutzucker steuern muss, kann ich in der Klinik direkt jemanden dazu fragen. Mit solchen praktischen Erfahrungen bietet eine Reha Menschen mit Diabetes große Chancen.“
Der Welt-Diabetes-Tag findet am 14. November statt, dem Geburtstag von Frederick G. Banting, der 1921 Insulin entdeckte. Jedes Jahr informieren an dem Tag Fachgesellschaften, Gesundheitseinrichtungen und Patientenorganisationen über die Krankheit.