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21.09.2023

„Lass dich nicht entmutigen“

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Strokecoach

Das Strokecoach-Trainingsprogramm für Schlaganfall-Betroffene basiert auf dem Blended-Care-Ansatz. Digitale Trainingseinheiten zu Hause werden mit persönlichem Training in der Praxis kombiniert. Die Therapeut:innen sind dabei jederzeit ansprechbar, geben Feedback und leiten an, wenn es hakt. So werden Fortschritte (auch Jahre nach dem Schlaganfall) möglich.

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Ein Schlaganfall kann auch in jedem Alter auftreten. Man spricht bei einem Schlaganfall in jungen Jahren, der bei Menschen unter 50 Jahren auftritt, von einem juvenilen Schlaganfall. Pro Jahr erleiden etwa 30.000 Menschen unter 50 in Deutschland einen juvenilen Schlaganfall.

Jenny, die mit 27 Jahren sogar mehrere Schlaganfälle hatte, erzählt uns ihre Geschichte.

Schlaganfall kann auch in jungen Jahren auftreten. Man spricht dann von einem juvenilen Schlaganfall.
Jenny möchte allen Betroffenen Mut machen: "Setz dich für dich ein: Wenn du kaum oder auch keine Fortschritte machst, wenn du dich unwohl fühlst oder deine Psyche leidet: wende dich an dein privates Umfeld, medizinisches Fachpersonal, dem du vertraust oder auch an die Krankenkasse."

Hi, Ich bin Jenny, heute 35 Jahre alt. Vor 7 Jahren hatte ich mehrere Schlaganfälle innerhalb von 72 Stunden. Eine Thrombose hatte die Schlaganfälle verursacht. Diese entstand vermutlich durch die Kombination von einer unentdeckten Fettstoffwechselstörung (Lipoprotein a) und stressbedingtem Bluthochdruck.

Schlaganfall in jungen Jahren – Plötzlich war alles anders

Nach dem letzten Schlaganfall und rechtzeitiger, intensiver medizinischer Betreuung konnte ich noch ganz flach atmen,  meinen Hals und meine Augen bewegen. Der Rest meines Körpers einschließlich Zwerchfell, Schließmuskeln, Zunge und Stimmbänder war gelähmt. Es war wie ein persönlicher Albtraum, denn ich war kognitiv jederzeit völlig anwesend.

Fuhr ich am Wochenende zuvor noch 1.000 Kilometer zu den Bundesliga-Spielen meines Lieblingsvereins, konnte ich jetzt nicht mal selbstständig den kleinen Finger bewegen, nicht mal den Fernseher einschalten. Schlaganfall in jungen Jahren – damit hatte ich nicht gerechnet.

Keiner wusste und traute sich einzuschätzen, welche körperlichen Funktionen wiederkehren würden. Meine geringen Überlebenschancen wirkten auf mich wie ein guter Ausweg. Aber mein Körper ging seinen eigenen Weg. Und so begann ich die Reha und mein “Leben mit dem Schlaganfall”.

Nach der ersten Reha saß Jenny noch im Rollstuhl
Noch im Rollstuhl - der erste Ausflug nach der Frühreha im August 2016. Bild: privat

Die Frührehabilitation

Nach zwei Wochen Intensivstation durfte ich per Liegendtransport im Rettungswagen direkt in die stationäre Frühreha. Diese Zeit würde ich gerne überspringen: Zeigte sie mir leider doch viel zu sehr, was im Gesundheitssystem falsch läuft. Es mag am Personalmangel und überfordertem Personal gelegen haben, vielleicht hatte ich auch einfach Pech, doch ich bekam wenig Empathie und hatte nicht das Gefühl, dass sich jemand für meine Besserung interessierte. Ich fühlte mich permanent unterfordert, denn ich hatte leider nur sehr wenige Therapieeinheiten.

Jennys Gedanken zum Gesundheitssystem

Hier sollte weniger auf Schulnoten geachtet werden, sondern auf die Leidenschaft, welche die Anwärter:innen mitbringen. Was bringt mir ein:e Ärzt:in mit Einser-Abi, wenn ich mir dafür anhören darf, dass ich ohnehin immer ein 24/7-Pflegefall bleiben werde? Und das – wohlgemerkt – direkt zu Beginn der Reha. Es muss wieder klar werden, dass es um Menschen geht und nicht nur um wirtschaftliche Aspekte. Ein „Dafür haben wir dieses Quartal kein Geld mehr“ lässt niemanden genesen.

Die Zeit nach der Frührehabilitation

Nach sieben Monaten Frühreha wurde ich “in die Freiheit” entlassen, vor der mir jede:r Angestellte der Reha Angst gemacht hatte: “Nichts wird mehr so sein, wie es mal war”, ich würde “keine Fortschritte mehr machen”. Ich frage mich ehrlich, wieso jungen Menschen nicht mehr Mut gemacht wird. Immerhin kommt ein Schlaganfall in jungen Jahren nicht nur vereinzelt vor.

Und das Gegenteil der Prognosen trat ein. Ich war endlich nicht mehr unterfordert und gelangweilt. Die Therapien, die ich machte, waren plötzlich auf mich persönlich zugeschnitten und ich wurde als Individuum wahrgenommen, nicht als eine Fallnummer.

Anfangs benötigte ich noch Hausbesuche der Ergo- und Physiotherapeut:innen. Nach einem halben Jahr war ich körperlich wieder in der Lage, die Praxen selbst aufzusuchen. 2018, gut zweieinhalb Jahre nach dem Schlaganfall, stand eine weitere ambulante Reha an. Aufgrund meiner Erfahrungen in der Frühreha hatte ich ehrlicherweise ein wenig Angst.

Tipp von Jenny

Setz dich für dich ein: Wenn du kaum oder auch keine Fortschritte machst, wenn du dich unwohl fühlst oder deine Psyche leidet: wende dich an dein privates Umfeld, medizinisches Fachpersonal, dem du vertraust oder auch an die Krankenkasse.

Fortschritte auch Jahre nach dem Schlaganfall

Meine Befürchtungen bewahrheiteten sich nicht. Ich machte wahnsinnig viele Fortschritte. Die Prognosen aus meiner Frühreha („keine Fortschritte mehr“) traten nicht ein. Das war super motivierend. Ich konnte endlich wieder Dinge tun, die für alle anderen (Frauen) normal sind: selber einen BH anziehen, zum Beispiel. Diese zweite Reha brachte mir wirklich viel. Ich konnte endlich auch für längere Strecken den Rollstuhl gegen den Rollator eintauschen.

Meine nächste stationäre Reha verbrachte ich im Januar 2020 in Süddeutschland. Auch diese brachte mich körperlich noch einmal um einiges voran: der Rollator wich dem normalen Gehstock. Das zeigte mir: Selbst Jahre nach dem Schlaganfall sind Fortschritte möglich. Aber es zeigte mir auch: tägliches Training und Wiederholungen sind dafür notwendig. Auch ohne Therapeut:innen, eigenverantwortlich.

 

Tipp von Jenny

Sprich an, wenn du dich nicht ernst genommen oder unterfordert fühlst. Und wenn du mit einem/einer Therapeut:in nicht gut zurecht kommst, dann wechsle. Es ist völlig in Ordnung und es geht um deine Gesundheit.

Fortschritte auch Jahre dem Schlaganfall.
Jenny macht auch Jahre nach den Schlaganfällen große Fortschritte. Hier 2019 nicht mehr im Rollstuhl, sondern mit Gehstock. Bild: privat

Entdeckung: Training zu Hause und in der Gruppe – per App

Betroffen sein heißt auch, viel auf sich gestellt sein. Zum Glück gibt es zahlreiche (Online-)Selbsthilfegruppen. In einer Gruppe bei Facebook fand ich damals einen Aufruf zu einem Pilotprojekt für Schlaganfall-Betroffene: Strokecoach. Eigenes Training unter Anleitung mit anderen Betroffenen inkl. Trainings-App für tägliches Training zu Hause. Unsere Coaches trafen sich einmal wöchentlich mit uns Schlaganfall-Betroffenen in der Gruppe. Wir trainierten zusammen unter ihrer Anleitung, erfuhren Wissenswertes rund um die Erkrankung, unseren Körper und einen gesunden Alltag. Dazu konnte ich mich mit anderen Betroffenen austauschen.

Der Austausch und das gemeinsame Training mit anderen Betroffenen machte Spaß. Das Leitungsteam des Pilotprojekts war super motivierend: manchmal mit Witzen, manchmal mit ernsthaftem Nachdruck. Mit der App konnten wir zu Hause trainieren. Die App zeigte Videos der Übungen und die Anzahl der Wiederholungen an. Über einen Chat konnten wir Fragen zu einzelnen Übungen und auch darüber hinaus zu einem gesunden Alltag stellen. Unsere Fortschritte wurden in regelmäßigen Abständen gemessen. Der Fokus des gesamten Programms war sehr positiv: wo hat sich etwas verbessert, wo gibt es noch Potential.

Tipp von Jenny

Ein Therapietermin in der Woche reicht nicht aus! Such dir zusätzliche Möglichkeiten, etwas für dich und deine Gesundheit zu tun.

Der Weg zurück ins Arbeitsleben

So machte ich auch hier, in meinem Alltag und trotz Covid19 große Fortschritte. Sogar so sehr, dass ich irgendwann mit meinem bisherigen Alltag (3,5 Stunden Therapie pro Woche und ein paar einfachen Aufgaben im Haushalt) unterfordert war. Der nächste Schritt stand an: Ich wollte zurück ins Arbeitsleben. Ich sollte Glück haben: Das Strokecoach Team hatte einen Job für mich. Heute bin ich Social Media Managerin von strokecoach.de und unterstütze auf diese Weise andere Betroffene. Es motiviert mich, gebraucht zu werden und wieder eine Tagesstruktur zu haben.

Und immer die Familie als Stütze

Was mir in dieser Zeit und in meinem Leben mit dem Schlaganfall auch noch geholfen hat? Meine Familie und Freund:innen. Sie waren zu jederzeit sehr unterstützend und nahmen mich auch weiterhin bedingungslos mit: auf einen Roadtrip an der Westküste der USA, einen New York City-Trip, zum Feiern, zu Bundesliga-Spielen, auf Robbie Williams und Rammstein Konzerte.

Gerade am Anfang war es für sie sicherlich schwerer als für mich, im geschützten Kosmos der Intensivstation. Sie hatten ihren Alltag (Arbeit, Kinder, Tiere etc.), dazu die Sorgen um mich, das Getratsche und die Fragerei nach mir.

Uns als Team half es, Witze über die Situation zu machen. Sicherlich ist hier jede:r anders. Mir persönlich hilft (schwarzer) Humor sehr. Wichtig ist es, mitzuteilen, wenn dich bestimmte Bemerkungen zu dir oder auch über dich verletzen. Sonst hat dein Umfeld keine Chance, sich anzupassen. Sprich an, wenn du dich nicht ernst genommen oder auch unterfordert fühlst. Und wenn du mit einem/einer Therapeut:in nicht gut zurecht kommst, dann wechsle. Es ist völlig in Ordnung und es geht um deine Gesundheit.

Heute bin ich 35 Jahre alt und halbseitig gelähmt. Ich gestalte meinen Alltag größtenteils selbstständig und bin wieder im Arbeitsleben. Dafür bin ich dankbar. Ich habe festgestellt, dass es wirklich tolle Reha-Einrichtungen und Therapeut:innen gibt. Ja, manchmal brauche ich etwas länger, bis ich einsehe, dass ich nicht alles alleine bewältigen kann. Und ja, manchmal bremst mein Körper mich aus, aber es ist eben auch ein Kampf an allen Fronten. Mit Hilfe meiner Familie und Freunde werde ich das schaffen. Das ist mein festes Ziel.

 

Auch nach Schlaganfall in jungen Jahren ist die Rückkehr ins Berufsleben möglich.
Jenny bei ihrer Arbeit - sie lässt sich neue Funktionen der Strokecoach App zeigen.

Tipp von Jenny

Und am Wichtigsten: Lass dich nicht entmutigen: Wenn dir gesagt wird, dass sowieso keine Verbesserung mehr möglich ist: Lächle, nicke und dann geh raus, zeig’s allen und starte durch.

Kennen Sie eigentlich Ihr Schlaganfall-Risiko? Etwa jede:r siebte ist von einem Schlaganfall in jungen Jahren betroffen. Es ist gut, die Risikofaktoren zu kennen.

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